Atemberaubende Skyline, ultramoderne Wolkenkratzer, pulsierendes Leben und Meer.
Hongkong – eine der modernsten Metropolen weltweit. Hier treffen Ost und West aufeinander. Den Reiz machen die Gegensätze von „Asia’s World City“ aus. Ob chinesische Tradition und westliche Moderne, quirliges Stadtleben und kaum berührte Natur – die Metropole der Kontraste hält immer eine Überraschung bereit.
Zurück in der Zivilisation!“ Dies pflegen nicht wenige Menschen aus Hongkong zu sagen, wenn sie aus China in ihre Stadt zurückkehren. China? Hongkong gehört doch zu China? Richtig. Bis 1997 Britische Kronkolonie, wurde die Metropole an der Mündung des Perlflusses vor 18 Jahren vom Vereinigten Königreich an die Volksrepublik China übergeben. Doch die Unterschiede sind auch nach bald 20 Jahren unter Chinesischer Staatshoheit enorm. Hongkong und China – zwei Welten.
Dies zeigt sich schon am zunächst gewöhnungsbedürftigen Linksverkehr in den hektischen Strassen der Weltstadt, einem der unzähligen Überbleibsel aus der Kolonialzeit. „Look Right“, steht an vielen Fussgängerüberquerungen auf Englisch und in Chinesischen Zeichen auf die Bürgersteige gemalt. „Nach rechts schauen“ – denn von rechts braust der Linksverkehr heran! Und wie leicht blickt man – an Rechtsverkehr gewöhnt – in die falsche Richtung …
Kontraste zu China
Doch betrachten viele „Einheimische“ ihre geliebte Stadt als „zivilisiert“ und das gigantische Rest-China als „unzivilisiert“? Einesteils sind es Unterschiede, die Menschen aus Hongkong und Reisende, die vergleichen können, ähnlich wahrnehmen. In der 1104 Quadratkilometer grossen Sonderverwaltungszone reihen sich die Leute geduldig und geordnet in eine Warteschlange ein, statt zu drängeln; sie halten diskret Abstand, statt sich gegenseitig in den Nacken zu hauchen, spucken nicht auf den Boden, sind weniger laut, lassen Kinder ihre Notdurft nicht auf der Strasse – oder in der U-Bahn(!) – verrichten und sie lächeln viel häufiger. Dies, um nur einige Beispiele zu erwähnen, wo man in der umgebenden Volksrepublik in der Tat mitunter noch eine andere Realität antrifft … Dazu kommen Gefühle, die tiefer in der Volksseele der Hongkonger verwurzelt sind.
Mai-Abend in einem Café an der belebten Stanley Street, mitten in Hongkong. Angie Wong* erzählt. Sie hat an der „Regenschirm-Bewegung“ teilgenommen. Wir sitzen kaum 200 Meter von Hongkong Central entfernt, dem Ort, wo im September 2014 alles begann. „Die Menschen hier haben genug vom zunehmenden Druck der Zentralregierung in Peking, die uns eine Stadtverwaltung vor die Nase setzen will, zu der wir kaum etwas zu sagen haben.“ Die Proteste wendeten sich gegen einen vom Nationalen Volkskongress in Peking gefassten Beschluss, nach dem künftig ein vom chinesischen Staat gebildetes Komitee die Kandidaten zur Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs festlegt, bevor die Bevölkerung von Hongkong über die Personen abstimmen kann.
Die Regenschirm-Bewegung
Auf subtropischen 22 Grad nördlicher Breite ist es hier auch spätabends noch deutlich über 20 Grad warm. Nachdenklich nippt Angie an ihrem Kaffee und blickt in das betriebsame Menschengewühl auf der Strasse. „Wir Hongkonger lieben unsere Stadt. Aber nach und nach kennen wir die eigene Heimat nicht wieder; das bedrückt mich.“ Die Teilnehmer der Proteste forderten freie Wahlen oder wenigstens die Rücknahme der undemokratischen Beschlüsse aus Peking. Gegen Ende September 2014 besetzten sie Teile der Finanz- und Regierungsbezirke Central sowie Admiralty und blockierten den Zugang zum Regierungssitz. Als die Polizei am 27. und 28. September mit Pfefferspray gegen die Demonstranten vorging, wurde der Begriff „Regenschirm-Bewegung“ geprägt. Denn diese nutzten ihre Regenschirme, um sich vor Pfefferspray, Sonne und Regen zu schützen.
Die Proteste weiteten sich aus. „Mehr als 100’000 Menschen gingen im Herbst bisweilen auf die Strasse“, erinnert sich Angie. Über Wochen blockierten Zeltlager der Demonstranten das Stadtzentrum. Hongkongs Pekingtreue Verwaltung und die Zentralregierung in China aber bezeichneten die Proteste als illegal und zeigten sich zu keinerlei Konzessionen bereit. Im Dezember räumten Polizisten Lager und Barrikaden. Angie Wong erinnert sich sichtlich bewegt: „Wir sind anständige Menschen. Die Proteste verliefen geordnet, ruhig und ohne jede Gewalt.“ Die Demonstrierenden hätten sich sogar für die Störungen, welche die Öffentlichkeit und der Handel zu erdulden hatten, entschuldigt. „Auch abends sah man nicht eine Bierflasche unter den Studenten, dafür aber viele, die Abfall einsammelten und für das Recycling sortierten. Wir reinigten die öffentlichen Toiletten und bestückten sie für alle frei benutzbar mit Hygieneartikeln.“ So habe auch sie den Polizisten zugerufen: „Wie könnt ihr mit Knüppeln und Tränengas gegen anständige Landsleute vorgehen, die sich für das Wohl unserer Stadt einsetzen?“
Handel und Wandel
Hongkong – eine aggressive, eher kalte Gesellschaft, „very money minded“, wie die Hongkonger sagen? Mit „hard workers“, die von Markenwaren besessen sind? Eine Stadt, wo Geschäfte auch an Feiertagen bis 22 Uhr offen sind, wo junge Frauen anstehen, um sich mit „Birkin Bags“ fotografieren zu lassen, wo junge Männer glauben, keine Frau zu bekommen, solange sie nicht eine Wohnung oder wenigstens einen BMW kaufen können? Zweifellos, das ist eine wesentliche Facette von Hongkong. Doch seit den Protesten habe sich etwas geändert. Davon ist Roberto Simanowski, ehemaliger Dozent für Medienwissenschaft an der Uni Basel und seit 2014 Professor für Digital Media Studies an der City University of Hongkong, überzeugt. „Auf dem Weg zur Arbeit sah man auf den Bildschirmen der U-Bahn und der Omnibusse neben Werbung für Louis Vuitton, Rolex und Mercedes die Bilder der Proteste.“ Schon dies zeige, was Hongkong von China unterscheidet, schreibt er in der Schweizer „Tageswoche“: „Hier ist die Konsumkultur noch durchlässig für politische Konflikte.“
Geht Hongkong für diesen Unterschied auf die Strasse? Geht es auch darum, dass Konsum nicht alles ist? Dass Kapitalismus ein soziales Gewissen braucht? Der wahrscheinlich wichtigste Faktor dieser Bewegung seien die vielen „Speaker’s Corners“, wo Vertreter aller Generationen von ihrem Leben in Hongkong berichten, von ihrer Wut, von ihrer Hoffnung, meint Simanowski. „Hier formt sich die Identität der Bewegung und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit. Man erfährt Hongkong als gemeinsame Aufgabe.“
Metropole mit viel Grün
All dies aber vermag ein Grundproblem Hongkongs nicht zu lösen, welches für Touristen, die ja nach einigen Tagen wieder abreisen können, sogar attraktiv sein mag, in Form quirliger Geschäftigkeit und atemberaubender Skyline: Ein Bevölkerungsdruck, der den Begriff „Dichtestress“ mehr als fühlbar macht. In den letzten 60 Jahren hat sich die Zahl der Einwohner vervierfacht, auf heute rund 7,3 Millionen Einwohner. Damit gehört das bewohnbare Territorium Hongkongs zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt.
Doch trotz der enormen Bevölkerungsdichte ist Hongkong eine der grünsten Metropolregionen Asiens. Denn die Land-zunge südlich von Shenzen und die 263 Inseln Hongkongs sind zu gebirgig für eine bauliche Erschliessung. Zudem ist das Bauen an den bewaldeten Hanglagen des Erosions- und Naturschutzes wegen verboten. Der horrende Bevölkerungsdruck, bei gleichzeitig sehr geringem Anteil an ebenen Gebieten, führte zu grossflächigen Aufschüttungen zur Landgewinnung im Meer. Auch der gesamte Flughafen ist auf eine künstliche Insel gebaut. Dazu ist hier eine weltweit einzigartige Skyline entstanden. Die Zuwanderung reicher Festlandchinesen aber lässt die Immobilienpreise und damit die Gebäude noch zusätzlich in die Höhe schiessen. Wolkenkratzer mit 60 Stockwerken sind keine Seltenheit. Hier stehen einige der höchsten Gebäude der Erde.
Menschen in „Käfigen“
Dennoch lässt sich nicht ausreichend erschwinglicher Wohnraum für die Bevölkerung schaffen, denn Hongkong gehört zu den Städten mit den höchsten Lebenshaltungskosten der Welt. So teilen Immobilienbesitzer ihre Wohnungen in immer kleinere Einheiten, mit dem Resultat, dass in der Weltstadt offiziell rund 100’000 sogenannte „Cage People“ (Käfigmenschen) leben. Dabei bewohnen mehrere Personen einen einzigen Raum. Solche Räume sind durch abschliessbare Boxen, etwa 2 Kubikmeter gross und teilweise doppel- oder dreistöckig gestapelt, in einzelne Bereiche geteilt, meist nur wenig grösser als eine Schlafstätte. Die Käfigbewohner einer Wohnung („Cage Home“) nutzen Küche und Sanitäranlagen gemeinsam, wobei eine Toilette oftmals für zehn Personen genügen muss.
Kein Wunder, dass solche Dichtestressauswüchse zu wachsendem Unmut gegenüber den Festlandchinesen und der vermehrt von „Peking“ diktierten Politik führt; Faktoren, die auch in die „Regenschirm-Bewegung“ gemündet haben.
Reizvolle Skyline
Dennoch oder gerade auch deswegen ist Hongkong eine buchstäblich höchst reizvolle und faszinierende Stadt. Kein Kurzbeschrieb wird den Attraktionen, die Hongkong bietet, gerecht. Einschlägige Reiseführer geben Rat. Ein „Muss“ für Hongkong-Reisende ist die „Skyline by Night“.
Am besten lässt sich diese bewundern, indem man mit der U-Bahn von der Hongkong-Insel unter der Meerenge „Victoria Harbour“ hindurch in den Stadtteil Kowloon fähr. Von der U-Bahn-Haltestelle Central auf der Tsuen Wan Linie bis zur Haltestelle Tsim Sha Tsui fahren (2. Stop nach Central). Von hier sind es wenige 100 Meter bis zum Wasser, wo man von der Avenue of Stars aus gemeinsam mit Tausenden weiteren Menschen einen überwältigenden Blick auf die Skyline der nun gegenüberliegenden Hongkong-Insel geniesst. Der Ort lässt sich auch mit dem Taxi gut erreichen, was aber deutlich mehr kostet und länger dauert. Noch gewaltiger ist die Aussicht über die nächtlich in allen Farben und mit spektakulären Lichtshows erleuchteten Wolkenkratzer vom Peak Tower aus. Hier, auf dem „Peak“, einem Hügel mitten auf der Honkong-Insel, scheint man auf 550 Meter über Meer gleichsam über der Skyline zu schweben. Allerdings ragen die höchsten Wolkenkratzer fast zur gleichen Höhe auf! Der Peak Tower ist bequem mit dem Peak Tram erreichbar, dessen Talstation unmittelbar neben dem Hongkong Park liegt. Achtung, nicht selten sind die Warteschlangen lang.
Der Hongkong Park selber ist eine sehr schöne Grünoase ganz nahe am Zentrum. Auch von hier aus lassen sich etliche der spektakulärsten architektonischen Wolkenkratzer-Kreationen aus der Nähe betrachten, in futuristischem Kontrast mit der Botanik.
Gefährdetes Symboltier
Wer etwas weiter hinaus will, kann mittwochs, freitags oder sonntags eine organisierte Delfinbeobachtungstour mit der Organisation Hongkong Dolphin Watch (www.hkdolphinwatch.com) wagen. Start mit Transferbus ist beim Kowloon-Hotel. In unmittelbarer Nähe zum Flughafen läuft dann das Beobachtungsboot von der Insel Lantau aus. Die ohnehin hoch gefährdeten weissen Delfine von Hongkong sind durch eine weitere geplante Startbahn im Meer und die Brücke von Hongkong nach Macau mitten in ihrem Lebensraum jetzt noch zusätzlich bedroht. Die Tour dauert insgesamt einen halben Tag. Wer mit Hongkong Dolphin Watch hinausfährt, hat die einmalige Chance, die seltenen, weiss bis rosa gefärbten Meeressäuger mit eigenen Augen zu sehen und leistet gleichzeitig einen Beitrag zum Schutz dieses fragilen Symboltiers von Hongkong.
* Name geändert
Informationen
Hongkong gehört zu den Weltstädten. Die Metropole und Sonderverwaltungszone an der Südküste der Volksrepublik China ist mit rund 12-stündigem Flug aus der Schweiz erreichbar. Bei rechtzeitiger Buchung bieten Fluggesellschaften wie Swiss und Lufthansa erstaunlich günstige Flüge an. Für die Einreise reicht ein gültiger Reisepass.
Einreise: Vom Flughafen erreicht man die Innenstadt mit Bus, Taxi oder Bahn, dem Airport Express. Dieser ist am schnellsten und erreicht Hong Kong Central nach wenigen Stopps und rund 20 Minuten Fahrt. Von dort steigt man am besten ins Taxi, um zum Hotel zu gelangen. Mit Ausnahme einiger entlegener Stadtgebiete, sind die zu Tausenden verkehrenden, etwas ältlichen Toyota-Taxis leicht verfügbar. Sie können entweder auf der Strasse angehalten oder per Telefon bestellt werden und sind recht günstig, klimatisiert und sauber. Innerhalb der Stadt ist die U-Bahn für etwas längere Strecken das schnellste, sauberste, sicherste und günstigste Verkehrsmittel. Hongkong gilt als eine der sichersten Städte der Welt und ist auch für allein reisende Frauen unbedenklich. In vielen Bereichen lässt sich die Metropole sehr gut zu Fuss entdecken.
Zu Fuss: Für Fussmärsche aufs Geratewohl können markante Wolkenkratzer, Hügel, das Meer, Wasserstrassen, Brücken und Autobahnviadukte als Orientierungspunkte dienen. Durch das subtropische Klima gerät man aber ausser in den kühlen Wintermonaten leicht ins Schwitzen. Zudem sind Regengüsse vor allem zwischen Mai und September häufig.
Währung: Meist kann man problemlos die Kreditkarte benutzen.
Für einen Franken gibt es rund 8,5 Hong Kong Dollar (Stand Mai 2015).
Einige hilfreiche Links:
www.chinaseite.de/china-reise/peking.html
www.hochgeschwindigkeitszuege.com/china/china.php
www.china-embassy.ch/ger/lsfw/sbqz
Bildlegenden:
Vom alten Bahnhof Hongkongs blieb nur der Uhrturm stehen.
Hongkong ist bekannt für die Flut von Neonlichtern, die die Stadt nachts beleuchten.
Bilder: shutterstock
Text: Hans Peter Roth