Wasser, Weite, Wohlfühlen
Ankommen, tief durchatmen und dann einfach loslassen – das weite Land im Norden Deutschlands tut gut und überrascht den Urlauber immer wieder mit innovativen Ideen.
Varel-Dangast: Kunst und Natur
Dieses besondere Licht in Dangast war es wohl, das Brücke-Maler wie Karl Schmidt-Rottluff oder Max Pechstein an den Jadebusen gelockt hat. Der weite Blick nach Wilhelmshaven, der hohe Himmel und die idyllisch gelegenen Häuser im Wäldchen ziehen auch heute noch zahlreiche Menschen in den Künstlerort. Wenn diese dann auf der Terrasse vom alten Kurhaus sitzen, mit einem Kaffee und dem legendärem Rhabarberkuchen, ist der Tag perfekt. Man ist ganz nah am Meer: Kein Deich schützt den Ort, dafür bimmelt die Glocke am Strand wild und verlässlich, wenn Windstärke 6 erreicht ist. Und über allem thront das neu errichtete Weltnaturerbeportal – Watt’n Blick! Dort nach dem Saunagang von der Panoramaterrasse auf Strand und Meer schauen und sich den Wind um die Nase wehen lassen, ist Erholung pur. Das Wattenmeer ist das zweitgrösste Ökosystem nach dem Regenwald, kein Wunder, das es sich zum Weltnaturerbe qualifiziert hat. Wer mehr darüber erfahren möchte, lässt sich von Gästeführern wie Lars Klein erst den Ort entlang des Dangasters Kunstpfades zeigen und dann zu den verschiedensten Wanderungen ins Wattenmeer verführen.
Wangerland: Wattwandern im Vollmond
Ein unvergessliches Erlebnis ist die Wattwanderung von Schillig zur Vogelschutz-insel Minsener Oog in den Sonnenuntergang hinein: Gerke Ennen führt die Besucher durch kniehohe Prile, klärt auf über Land und Meer, gräbt Watt-würmer aus und fischt nach Seesternen. Auf der Insel wird man vielleicht schon vom Vogelschutzwart erwartet, der für einige Monate dort alleine lebt. Mit viel Glück spiegelt sich auf dem Rückweg dann noch der Vollmond in den Prilen und es entsteht diese magische Stimmung, die man festhalten möchte. Wer den Tag friesisch herb abschliessen möchte, stärkt sich im Restaurant „Leuchtfeuer“ in Horumersiel mit leckeren Friesen-Tapas und wärmendem Friesengeist.
Die Glocke in Dangast läutet ab Windstärke Sechs
Langeoog – Sonne und Sanddorn satt
Rot, grün, blau und gelb sind die Waggons der Inselbahn, welche den Urlauber direkt von der Fähre abholt und ins Inselinnere bringt; autofrei gelangt das Gepäck mit Pferdekutschen zum Hotel. Wer schlau ist, lässt gleich alles dort stehen und begibt sich auf eine Insel–Velo-Tour. Eine Inselerkundung mit abwechslungsreicher Landschaft und frischer Nordseeluft macht hungrig und durstig – in der Meierei ganz am Ostzipfel der Insel Langeoog gibt es Deftiges und Süsses zur Stärkung. Dickmilch mit Schwarzbrot und Sanddornsaft – das ist eine Spezialität der Meierei von Familie Falke. Der gesunde Saft ist wegen seines hohen Vitamin C-Gehalts sehr beliebt bei ihren Gästen. Auf dem Rückweg geht es vorbei an menschenleeren Stränden, grünen Wiesen mit grasenden Pferden und Rindern. Der abendliche Abstecher zur Melkhörndüne mit Blick aufs Wattenmeer wird unvergessen bleiben – Prile schillern in der untergehenden Sonne, bilden spiegelnde Oberflächen, die golden im Abendlicht glitzern. Später, im Fischrestaurant „In ’t Dörp“, sollte alles probiert werden, was das Meer hergibt und wer es sich wert ist, danach sein müdes Haupt auf ökologische Baumwolle zu betten, ist im Hotel „Strandeck“ bestens aufgehoben: Das Biohotel lässt sich auch von strengsten Öko-Prüfungen nicht abhalten, den Nachhaltigkeitsgedanken aktiv umzusetzen. „Die Insel hat so guten Boden, so viele tolle Menschen und Möglichkeiten – warum das nicht nutzen?“ sagt Maike Recktenwald, die das Hotel im ökologischen Sinn betreibt. Und so stehen morgens keine Fertigprodukte auf dem Frühstückstisch, sondern selbstgemachte Marmelade aus Inselfrüchten und Aufschnitt von ostfriesischen Rindern.
Krabbenkutter in Dornumersiel
Von Fischern und dem Leben am Meer
In der alten Mühle in Esens finden sich nicht nur Dokumentationen zum Leben am Meer, sondern auch Einiges, was das Watt in seinen Tiefen bewahrt hat. Museumsleiterin Frauke Lüken zeigt dem Besucher ausserdem maritime Fliesenmuster mit unzähligen Motiven zur See und die Werkstatt des Uhrmachers Janssen, in der es so aussieht, als wäre die Zeit stehen geblieben. Einer, der das Meer mindestens genauso gut kennt, ist Uwe Casper – in Dornumersiel geboren, hier verwurzelt und mit Leib und Seele Fischer. Alle drei Kutter, Poseidon, Gerda Katharina und Gerda Bianca, liegen gerade im Hafen und sind im Besitz der Familie. Manchmal arbeiten die Brüder Casper bis zu 90 Stunden in der Woche auf See – „Es wird einem ja nix geschenkt“, sagt der Fischer und lacht. Früher wurden die Krabben noch mit der Hand gesiebt, mit dem Eimer das Wasser drüber geschüttet – wenn man dann 150 kg in 12 Stunden verarbeitet hatte, war man schon gut. Heute geht alles auf Knopfdruck und eine Tonne in zwölf Stunden ist nix. Hat man Glück und kommt dazu, wenn die Ladung gerade gelöscht wird, kann man schon mal eine Handvoll Krabben direkt vom Kutter ergattern und dann selbst pulen. Die richtige Technik können einem die Damen bei „Fisch Rinjes“ direkt am Hafen verraten, nebenbei verkaufen sie ausserdem noch leckere Fischbrötchen. Eine sehr gute Adresse zum Fischessen ist das Restaurant „Fährhaus“ in Nessmersiel. In dem gemütlichen Fachwerkhaus kommen regionale Fischspezialitäten auf den Tisch – auch von Einheimischen wärmstens empfohlen.
Museum “Leben am Meer” in Esens
Alles neu auf Norderney
Eine Etagère mit Obst, Käse und Wurst, frischer Orangensaft und ein grosser Korb voll knackiger Brötchen: Warum nicht einmal mit einem üppigen Frühstück auf der Fähre in den Tag starten? Eine gute Stunde dauert die Überfahrt nach Norderney, also ist Zeit genug, um gestärkt auf der Insel anzukommen. Berit Finkennest zeigt dem Besucher dann gerne „ihre“ Insel. Sie arbeitet im Nationalpark-Haus „WattWelten“ und ist gelernte Meeresbiologin aus Hamburg. Auf Norderney transportiert sie tapfer Stativ und Spektometer auf dem Velo und führt während der Tour über die Insel zu den Rastplätzen von Graugänsen, Brandenten und Austernfischern. Über 5000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten gibt es auf Norderney. Die Biologin lässt den sauer-salzigen Queller aus den Salzwiesen probieren und erzählt von fleischfressenden Pflanzen, die in Gebüschen verborgen sind. Der Stopp an der „Weissen Düne“ lässt erahnen, dass Norderney sich nicht nur in Flora und Fauna sehen lassen kann, sondern auch modernes Strandleben pflegt: In bequemen Loungesesseln geniesst man die hervorragende Inselküche (zu empfehlen ist der Apfelcrumble mit selbstgemachten Eis) oder einfach nur die warme Sonne im Gesicht – die salzhaltige Luft und die Bewegung in der Natur tun gut. In zahlreichen Strandbars an der Promenade versammelt man sich zum kollektiven Sundowner und geniesst die Fülle des Meeres auf dem Tisch, wie z. B. im „Esszimmer“ des Restaurants „Inselloft“. Dort kann man Felix Wessler beim Kochen zusehen und wie bei Freunden – am langen Holztisch sitzend – essen. Wer immer noch nicht genug hat, taucht später ab in das maritime Nightlife des schmucken Städtchens.
Sonnenuntergang auf Langeoog
Entschleunigung im Zauberland
Mit dem Juist-Flieger auf die Insel – schon das ist die erste Besonderheit. Der Flug dauert nur 5 Minuten und ist manchmal die einfachste Möglichkeit nach Juist zu kommen – tidenunabhängig. Hier wird man kein Autogeräusch hören, nur das Klappern der Hufe unzähliger Pferdegespanne. Das Töwerland hat sich voll und ganz dem Klimaschutz verschrieben und den ehrgeizigen Vorsatz gefasst, den CO2-Ausstoss bis 2030 auf Null zu reduzieren. Für diese Bemühungen erhielt Juist 2015 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis und zählt damit zu Deutschlands nachhaltigsten Gemeinden.
Und so dürfen nur Ärzte und Feuerwehr mit dem Auto zu ihren Einsätzen fahren, selbst die Polizei nutzt das Velo. Was dem Urlauber auf Juist sofort gut tut, ist die Ruhe und somit eine Form von Entschleunigung, die er zuhause nicht findet – schliesslich muss man einfach etwas Zeit mitbringen, um mit dem Planwagen bis fast ans Ende der Insel in die Domäne Bill zu fahren. Dort wird man dann aber mit ehrlicher Hausmannskost und einem fingerdicken Krintstuut (Rosinenbrot) mit dick Butter obenauf belohnt. Später zur Teestunde im „Lüttje Teehuus“ empfiehlt es sich, vorher die Gepflogenheiten der Ostfriesischen Teezeremonie studiert zu haben: Erst das „Kluntje“, den Kandis, in die blau-weisse Tasse, dann den heissen Tee hinein und nun ganz langsam die Sahne mit der kleinen Kelle eingiessen, bis Wölkchen nach oben steigen. In jedem Fall aber gilt: nicht umrühren.
Das Kurhaus und der Strand von Juist
Förderung regionaler Produkte, Bewahren von Landschaft und Traditionen – das sind Werte, die sich nicht nur Juist auf die Fahne geschrieben hat. Die niedersächsische Nordsee zeigt sich dem Besucher vielfältig und einfallsreich, hat Spannendes im Angebot aber eben auch den Raum für Ruhe und Erholung.
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Text und Bilder: Jeanette Müller