Um Schottland umfassend zu begreifen, versetzen wir uns zunächst 250 Millionen Jahre zurück. Eine einzige riesige Landmasse namens Pangäa bildet das Festland unseres Planeten. Vor 135 Millionen Jahren bricht Pangäa auseinander. Es entstehen grosse tektonische Platten. Die langsame, nur wenige Zentimeter pro Jahr betragende Drift der Kontinente führt über Jahrmillionen zur heutigen Gestalt der Erdoberfläche. Schottland, ursprünglich ein Teil des kanadischen Küstengebietes, wird von der allgemeinen Aufbruchstimmung der Kontinente angesteckt und driftet kurz entschlossen über den Atlantik, um ausgerechnet an England anzudocken.
Dieses prähistorische Missgeschick stösst den zwangsweisen Nachbarn bis heute sauer auf und erklärt möglicherweise den tief verwurzelten Zwist zwischen Engländern und Schotten. Auf die Lösung des Konflikts komme ich am Ende des Artikels zurück. Von Deutschland lässt sich Schottland auf mannigfaltige Art und Weise anvisieren. Die schnellste Anbindung erfolgt per Flugzeug nach Glasgow oder Edinburgh. Die mir liebste Annäherung ist eher die entschleunigte Variante auf dem Land- und Seeweg. Die Seele hat dabei die Chance im Körper zu bleiben und muss nicht hinterher hasten. Empfehlenswert ist die allabendlich von Rotterdam startende Fähre, in der man über Nacht wunderbar bequem die Nordsee überqueren kann, vorausgesetzt, man leistet sich eine der stillen Aussenkabinen. Ankunft im Morgengrauen in Hull /Nordengland. Von hier sind es noch circa 300 Kilometer bis zur Borderline, der natürlichen Grenze zu Schottland. Bereits in der Antike errichteten die Römer einen Schutzwall, um sich gegen die gefürchteten Angriffe der kampfeslustigen Schotten von Norden her zu schützen. Teile des Hadrians-Wall sind heute noch zu erkennen.
„Und willst du des Zaubers sicher sein, so besuche Melrose bei Mondenschein. Die goldne Sonne, des Tages Licht, sie passen zu seinen Trümmern nicht …“
Spannender vom Anblick her sind die vier Grenz-Klöster Melrose, Drybourgh, Jedburgh und Kelso. Insbesondere das erste lohnt einen Besuch, nicht nur bei Vollmond, wie der Nationaldichter Sir Walter Scott in seinem Gesang „The Lay of the last Minstrel“ empfahl. Theodor Fontane übersetzte in seinen Reisebeschreibungen „Jenseit des Tweed“ (Insel-Taschenbuchverlag) 1860 die Versromanze ins Deutsche.
Sir Walter Scott ruht übrigens seit 200 Jahren in einem Granit-Sarkopharg zwischen den Säulen im Park von Drybourgh Abbey. Seine hohe Wertschätzung wird einmal mehr deutlich auf der schottischen 20 Pfundnote, die sein Konterfei ziert, während die Engländer ihrer Queen huldigen. Gen Norden wird die hügelige Landschschaft immer einsamer. Es ist ein Meer der Wiesen. Endlose grüne Weiden lassen die Gewissheit aufkommen: Willkommen im Süden Schottlands, den Lowlands. Schafe bis zum Horizont, Mauern mit Moos und riesiger gelbe Ginsterbüsche – das sind so die ersten Eindrücke bei einer Reise im Frühling. Überhaupt ist der Mai ein der besten Reisemonate: viel Sonne, kurze Regenschauer und ein Überbordern von spriessendem Pflanzengrün.
Um Schottland zu geniessen, benötigt jeder Reisende ein erholsames Basislager für die Nacht. Als Oase der Stille bietet sich Bed&Breakfast an, als B&B an den Strassen ausgeschildert. Selbst das kleinste Häuschen lädt mit familiärer Atmosphäre zum Übernachten ein. Die Idylle in der Borderregion ist ein Segen der momentan friedlichen Koexistenz zwischen Engländern und Schotten. Heutige Differenzen sind vergleichsweise harmlos im Vergleich zum furchtbaren Gemetzel zwischen den beiden Nachbarn in den vergangenen Jahrhunderten. Ein Überbleibsel und Zeugnis früher vielfach blutiger Konflikte und brutaler Auseinandersetzungen stellt Stirling Castle dar, eine mächtige Burganlage am Rande der Trossachs. Vierzehn Schlachtfelder rings um die Burg erinnern an den Kanonendonner in der Historie. Wenn es um die Würdigung ihrer Freiheitskämpfer geht, neigen die Schotten zu monumentalen Bauten wie das Sir William Wallace Monument – heute ein
Museum. Der berühmteste aller Widerstandskämpfer schlägt mit seinem lanzenbewaffneten Fussvolk um 1300 vernichtend das englische Heer. Kurze Zeit später gerät William Wallace in englische Gefangenschaft, wird nach London gekarrt und gevierteilt. Der Kampf um Schottland geht weiter, König Edward der I. deklariert Schottland zur englischen Provinz. Dieses Erbe hallt bis heute in der schottischen Seele tief nach, wie wir gleich in Edinburgh sehen werden …
Am eindrucksvollsten kann man sich von Norden her der schottischen Hauptstadt nähern. Über den Firth of Forth reckt sich ein gewaltiges Stahlskelett majestätisch über die Meeresbucht. Von der parallel verlaufenden Autobrücke bietet sich ein grandioser Blick auf das über einhundert Jahre alte Bauwerk. Bis dahin stellte der Firth of Forth Meeresarm ein enormes Verkehrshindernis gen Norden dar. Schottischer Pioniergeist meistert das Problem auf fulminante Weise in Form eines riesigen Cantilevers. In acht Jahren Bauzeit entsteht die knapp zwei Kilometer lange Eisenbahnbrücke, ein gigantisches Konstrukt aus Eisenträgern. Bis zu 4000 Arbeiter sägen und nieten zwischenzeitlich an dem stählernen Koloss herum. Acht Millionen Nieten halten die Rohre zusammen, die Diagonalstreben, dieses Wirrwarr von Fachwerk, verschnürt wie ein viktorianisches Mieder.
Ankunft in Edinburgh – die Hauptstadt Schottlands
Wie lässt sich so eine Stadt angehen? Am besten aus der Vogelperspektive, in dem man auf den Hausberg kraxelt: Arthurs Seat, von dem man den besten Überblick hat. Arthurs Seat thront wie ein gutmütiger Wächter über der Stadt. Was fällt auf? Auf einen Nenner gebracht: die Burg fällt ins Auge und die Prinzess Street, eine schnurgerade Meile. Drumherum drapiert sich die übrige Stadt wie als Zugabe; so die Verkehrsadern zwischen den Häuserschluchten, dann die alten Bauwerke, Ton in Ton verschmelzend. Die gesamte Architektur Edinburghs zeichnet sich durch eine wohltuende altehrwürdige Harmonie aus. Wenden wir uns zunächst der Burg zu. Die Burg ist das am meisten frequentierte Besucherziel Schottlands. Sie gilt als Symbol; oft zerstört und doch am Ende unzerstörbar wie das schottische Selbstbewusstsein. Stolz thront die Burg hoch oben über der Stadt, stolz marschiert auch die schmucke Burgwache vor den Toren auf und ab. Hinter ihnen
stehen William Wallace und Robert Bruce in Stein gehauen in Burgnischen. Auf der Saat der beiden Nationalhelden gründet und manifestiert sich das neue schottische Parlament, seit 2004 der moderne Kontrastpol zur Burg. Jahrhundertelang ist es ein Traum der Schotten gewesen – ein eigenes Parlament.
Allerdings ging das Referendum zur Abspaltung von England und Gründung eines eigenen schottischen Staates vielen Schotten 2014 denn doch zu weit. Über die Hälfte (55%) der Wähler sprach
sich gegen die völlige Unabhängigkeit Schottlands und für einen Verbleib im Vereinigten Königreich aus.
Edinburghs Innenstadt ist einfach zum Wohlfühlen, ein wunderbar angenehmes urbanes Zentrum. Shopping und Erholung im grünen liegen hautnah beieinander. So ist die Princess Street nur einseitig bebaut, also nur eine halbe Strasse, wie die Glasgower, die Erzrivalen witzeln. Die andere Seite bleibt Wiesen und Bänken vorbehalten, eine grüne Oase mitten in der Stadt, geeignet insbesondere für Siestas gestresster Zeitgenossen. Sobald die Sonne heraus kommt, schalten die Schotten auf Entspannungsmodus um und zeigen viel Haut, auch wenn die Temperatur nur knapp über der Frostgrenze liegt. Alle finden im friedlichen Nebeneinander einen Platz an der Sonne: Studenten, Mütter mit Kindern, Hausfrauen, Clochards, Banker und Blowpiper. Wenn sich die
Dudelsackspieler nicht gerade ausruhen, erschallt ihre „Musik“ über alle Strassengeräusche hinweg, dominiert den Sound einer ganzen Grossstadt. Beim genauen Beobachten auf eine solche
mannhafte Erscheinung vereinigen sich in ihr zweifelsohne vier elementare Grundzüge: Lungenkraft, Leidenschaft für schrille Töne, virtuose Gelenkigkeit der Finger und ein immunes Trommelfell. Ich gebe zu, in mir erzeugt das Dudelsackgeheule unweigerlich Fluchtreflexe. Der Rhythmus dieser Stadt fasziniert mich. In Jahrhunderten kontinuierlich gewachsen, von den Weltkriegen verschont, bietet Edinburgh heute eine einzigartige Atmosphäre. Das Gestern begegnet den modernen Zeitgenossen auf Schritt und Tritt. Man kann die Geschichte Edinburghs atmen, in der Royal Mile besonders intensiv. Die königliche Meile wird von den ältesten Hochhäusern Europas gesäumt. Am unteren Ende der königlichen Meile thront Holyrood Palace – bei dessen düsterem Anblick einen unweigerlich der verwitterte Hauch der Geschichte streift. Vor 450 Jahren ist der Palast Schauplatz grausiger Vorgänge rings um die Königin Maria Stuart gewesen. Keine andere Frau der Weltgeschichte hat soviel Dramen, Romane und Biographien hervorgerufen, denken wir nur an Friedrich Schiller oder Stefan Zweig.
Bei einer Führung durchs heutige Museum wird auf die mörderischen Ereignisse Bezug genommen, ebenso auf der nördlich der Hauptstadt liegenden Inselburg im Loch Leven, in dessen Mauern Maria Stuart ihre Abdankung unterschreibt. Nach Norden heisst die Devise. Vom Loch Leven führt die Tour am Loch Ness vorbei und weiter geht es westwärts in die Highlands. Das Wörtchen
„vorbei“ sagt erst einmal nichts darüber aus, ob Sie direkt die Uferstrasse benutzen und nach dem legendären Ungeheuer Ausschau halten oder ob Sie den sechzig Kilometer langen und 300 Meter tiefen See geflissentlich ignorieren. Offen gesagt, ein Abstecher zum Loch Ness lohnt sich nicht wirklich, es sei denn, Sie tragen die Hoffnung auf das ultimative Foto des urzeitlichen Kolosses in sich.
Nun also die Highlands!
Was für ein Wortklang, was für Filme, was für Sehnsüchte assoziiert dieses Wort in uns? Erst hier im nordwestlichen Teil entfaltet Schottland jene Magie, jene Landschafts- und Lichtstimmungen, die unser Herz weidwund schlagen lassen. Die Berge werden höher und schroffer, kahle Felsen wechseln mit moorigen Hochflächen, wilde Flüsse rauschen zu Tale oder münden in langgestreckte Seen, den Lochs. Während sich die Ostküste vergleichsweise lieblich präsentiert mit ihren sanften Hügeln und Wäldern, zieht die Westküste alle Register einer gewaltigen dramatischen Fantasie. Damit ist sie eindeutig mein Favorit. Als ob es der pittoresken Eindrücke nicht genug wären, setzt sich die Westküste mit den vorgelagerten Inseln, den Inneren und Äusseren Hebriden noch die Krone auf.
Hier im Norden Schottlands hüllt nun den Reisenden eine grosse Einsamkeit ein. Berge, Wolken, Wind und Wasser setzen sich gemeinsam beeindruckend in Szene.
Wenige Kilometer westlich vom Loch Ness liegt Schottlands höchster Berg, der Ben Nevis, in bedächtiger Erhabenheit. Berüchtigt ist seine steile Nordflanke. Sie hat dem über 1300 Meter hohen Ben Nevis unter Bergsteigern den Spitznamen „Killerberg“ eingebracht. Durch die Highlands schlängeln sich einsame Single Track Roads bis an die Westküste. Single Track Roads dominieren bis in die heutige Zeit auf schottischen Nebenstrecken. Sie weisen nur eine Fahrspur auf und alle 200 Meter Ausweichstellen, sogenannte Passing Places, an denen man sich im Falle von Gegenverkehr freundlich aneinander vorbei winkt. Einsame malerische Täler wie Glenn Garry oder Glen Affric laden zu Abstechern im Fahrzeug oder per Pedes ein. Eines der markantesten Wandergebiete an der schottischen Westküste ist der Ben Eigh Nationalpark. Vorzugsweise verstecken sich die Gebirgsmassive in dichten Regenwolken. Wer auch bei trüber Witterung nicht aufs Wandern verzichten will, ist gut beraten, sich seine Kleidung in Form eines Ganzkörperkondoms zusammen zustellen. Bezeichnenderweise marschieren die Briten sämtlich in Gummistiefeln über die Berge – prophylaktisch auch bei schönem Wetter …
Falls es regnet, kommt natürlich auch in Schottland irgendwann die Stunde seines Aufhörens. Aber nun starten die Midgies durch. Sie steigen zu tausenden aus dem Gras auf und peilen rigoros jeden nichtsahnenden Warmblüter an, der sich bis zu dem Zeitpunkt seines Lebens erfreut hat. Das ist nun vorbei. Midgies, das sind kleine, nur 2 Millimeter lange Stechmücken, die einem das Leben im schottischen Sommer zur Hölle machen können. Sie krabbeln frech zwischen die Haare, in die Nase, in die Ohren, und sie pisacken auf’s fürchterlichste. Da helfen nur zwei Massnahmen: entweder Flucht aus Schottland oder Jalousie komplett schliessen und auf Luftabkühlung oder Wind warten.
Auf der Fahrt zur Westküste flankieren einige romantische Burgen den Wegesrand, häufig halb im Wasser stehend und malerisch drapiert vor mächtigen Bergwülsten. Eilean Donan Castle ist eines der beliebtesten Motive unter den schottischen Burgen, hat genaugenommen nicht eine originale Mauer aufzuweisen. 1720 griffen drei englische Fregatten die Burg an und schossen sie in Schutt und Asche, bevor nach 200 Jahren der Wiederaufbau vollendet wurde. Andere Burgen wie Kilchurn Castle oder Castle Stalker wirken in ihrer herben Romantik kaum weniger beeindruckend. Häufig sorgt der Morgennebel vor den Bergen im Hintergrund für dramatische Kulissenbilder, auf die jeder Theateregisseur neidisch sein dürfte.
Ankunft an der Westküste in Oban. Es ist mit 80 000 Einwohnern die grösste Stadt an der schottischen Westküste. Hoch oben auf dem Hügel trohnt ein über hundert Jahre altes Kolosseum, der Spleen eines einheimischen Bankiers, sich für die Ewigkeit einzubringen. Oban ist im übrigen eine quirlige Hafenstadt mit vornehmen Häusern aus der Gründerzeit, als der Seehandel florierte.
Auf geht’s zu den Inseln vor Schottlands Westküste. Über Iona, Staffa und Mull führt unsere Tour weiter nordwärts bis nach Skye, der grössten Insel der Inneren Hebriden. Iona istdie Toteninsel der schottischen Prominenz. Jahrhundertelang liessen sich hier in der Kirchengruft die Könige begraben. Es gibt nicht nur uralte Gräber in der Kirche zu bestaunen, auch draussen pfeift der Wind seit Jahrhunderten über keltische Kreuze und frühchristliche Grabsteine. Als Krönung schottischer Felsfantasien offenbart sich ein paar Meilen nördlich die Insel Staffa. An diesem Eiland kreuze ich noch einmal die Spuren Theodor Fontanes, dessen Beschreibung bis heute den treffendsten und lebendigsten Eindruck zu vermitteln versteht. In einem Sprung geht’s zurück ans Festland, und schon bin ich im Hafen von Mallaig angekommen. Der hübsche Fischerort fungiert als Fährhafen für die Insel Skye, der nächsten Etappe der Reise. Skye, auf gälisch Nebelinsel, empfängt mich alles andere als nebulös. Es ist eine Insel mit grosser atmosphärischer Dichte, man erlebt Schottland sozusagen in hochkonzentrierter Form auf engstem Raum. Bereits 1773 lenkten der hochgeistige Gelehrte und mit ätzendem Spott gesegnete Dr. Samuel Johnson und sein Adlatus James Bothwell auf ihrer Hebridenreise mit Reiseberichten (Verlag C.H.Beck München) die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese grösste Insel der Inneren Hebriden. Als Inbegriff von Skye gelten die Cuillins, ein schroffes Gebirge und eines der anspruchsvollsten Bergsteigerzentren Europas. Obwohl die Berge nicht einmal tausend Meter hoch sind, gelten sie als extrem gefährlich. Ihre Silhouette scheint wie von wahnsinniger Hand gezeichnet zu sein. Es reizt dieses Gebirge zu erklimmen. Allerdings hat es erst mit dem vierten Anlauf geklappt: Kälte, Schnee, Eis und Regen ersticken die ersten Anläufe im Keim. Das Basaltgestein entpuppt sich bei Nässe als aalglatt, kein Halt, keine Chance für noch so rutschfeste Bergstiefel. Endlich verspricht der Morgenwetterbericht optimale Voraussetzungen zum Sturm auf die Gipfelwelt. Also Rucksack gepackt und im Frühtau zu Berge. Nach stundenlanger Kraxelei stehe ich prustend auf dem höchsten Gipfel der Cuillins: dem 993 Meter hohen Sgurr Alasdir. Die Aussicht ist schlicht grandios!
Nun flugs wieder hinab, bevor der nächste Tiefdruckkeil kommt … An Wasser aus geöffneten Himmelsschleusen wie im morastigen Boden herrscht wie im übrigen Land kein Mangel auf Skye. Das Wasser in Schottland hat eine besondere Qualität, geprägt vom Gestein, vom Boden, vom Torf und speziellen Mineralien. Das Wasser des Lebens: Schottischer Whisky. Böse Zungen behaupten ja, er müsse als giftiges Lösungsmittel deklariert werden. Bernhard Shaw hingegen schwärmte: WHISKY sei flüssiges Sonnenlicht! Es geht um die legendären Single Malts – die besten Whiskies von Schottland. Sie werden aus reinem Gerstenmalz hergestellt und nicht wie die billigen Blend-Whiskies aus verschiedenen Getreidesorten verschnitten. Single Malt Whiskies bieten Geschmackspalletten von cremigen Vanilletönen bis zu blumigen Sherrynoten.
Single Malt
Ein berühmter Single Malt ist der Talisker – hergestellt in der einzigen Destillerie auf SKYE unweit der Cuillins. Bereits Robert Louis Stefenson lobte den Talisker als den König der Getränke. In der Tat raucht er wie Torffeuer in der Kehle. Vom Trinken zum Essen.
Achten Sie beim Geniessen eines Single Malt besonders auf den Abgang, dem Schlussakkord in der Kehle! Er ähnelt einer kraftvollen unergründlichen Melodie …
Die schottische Gourmetküche ist für den Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig. Traditionelle Leckerbissen wie Haggis zählen zu den Kulinarischen Höhepunken und sollten an einem Tag mit neutraler und stabiler Darmflora vorsichtig probiert werden. KleingehäckselteSchafsinnereien aus Magen, Leber und Nieren können auf dem Teller, garniert mit Kartoffeln und Salat, durchaus eine appetitliche Figur machen.
Portree, Hauptstadt der Insel Skye
Frohe Fassadenfarben strahlen Optimismus aus. Zu noch mehr Lebensfreude verhilft ein Spektakel wie die Highland Games, die einmal im Jahr jede schottische Ansiedlung in den Ausnahmezustand versetzen. Mit skurillen Sportdisziplinen wie Tossing the Caber – das Baumstammschleudern oder Putting the Stone (Wackersteinweitwurf) beweisen die Schotten einmal mehr ihren feinen Sinn für Humor, gepaart mit einer gehörigen Portion Traditionsbewusstsein. Neben den Cuillins existieren weitere imposante Landschaften auf Skye wie das Massiv um den Old Man of Storr. Die 60 Meter hohe Basaltnadel ist ein geologisches Unikum und ein lohnendes Wanderziel. Wandern auf Skye entpuppt sich auch im Quiraing-Gebirge als eine vielseitige Entdeckungsreise …
Auf geht’s zur letzten Etappe! Die Fähre wird mich in flotter Fahrt zu den Äusseren Hebriden bringen, den Inseln Harris and Lewis.
Ein besonderes Gütesiegel hat die Äusseren Hebriden weltweit bekannt gemacht. Der Siegeszug des Harris-Tweeds begann im vorletzten Jahrhundert, als die viktorianischen Gentlemen auf ihren Jagdzügen in den Highlands überraschend die rauhe Witterung bemerkten. Das Geheimnis des Harris Tweed liegt in seiner speziellen, äusserst straffen Webstruktur. Die Exportkraft des Harris-Tweed ist bis heute ungebrochen. 900 Weber produzieren derzeit in Heimarbeit Yard um Yard. Kilometerlange Torfgräben scheinen auf Harris weit und breit das einzige zu sein, was die Landschaft prägt und belebt. Torf wird ja seit Jahrhunderten als Brennmaterial für den heimatlichen Ofen verwendet. Der Abbau geht relativ einfach vonstatten: Spezielle spatenähnliche Schieber müssen den Torf vertikal zerstechen, bevor sich ziegelförmige Quader aus dem Verbund lösen lassen.
Einen imposanten Charakter präsentiert die Insel Harris an ihrer Westküste.
Zunächst faszinieren mich breite gelbe Sandstrände – ein Traum! Diese Buchten könnten in der Karibik liegen, wäre das Wasser nicht so knapp am Gefrierpunkt! Als Entschädigung lassen sich vom Strand die denkbar romantischsten Sonnenuntergänge geniessen. Die Felsen hier am Butt of Lewis bestehen aus Urgestein, aus dem auch die Standing Stones geschaffen worden sind. Lewis Gneis gehört zu den ältesten Felsformationen der Erde, 1500 Millionen Jahre alt, mürbe wie Blätterteig.
Von der Insel Harris ist es nur ein Katzensprung zur Insel Lewis mit ihrer legendären Kultstätte: Die Standing Stones oder auch der Steinkreis von Callanish genannt. Vor 4000 Jahren erbauten die Siedler diesen Tempel, an dem sie sich zum Totenkult oder zu Hochzeitsfesten versammelt haben mögen. Das Gesteinsmaterial hat selbst mythischen Charakter, denn es handelt sich um Urgestein, Lewis Gneis genannt. Die alten Steine und die Landschaft spielen mit dem Himmelslicht, es ist eine Augen- und Sinnesweite! Weiter geht’s gen Norden. Die letzten Kilometer bis zum Butt of Lewis vermitteln den Eindruck, am Ende der Welt angekommen zu sein.
Auf einmal zieht die Insel LEWIS einen überraschenden Register, und dabei handelt es sich um ihr Nordkap – das Butt of Lewis! Hier kommt Muse auf die Gedanken treiben zu lassen. Butt of Lewis, wo setzen sich die Jahrmillionen dramatischer in Szene als hier?
Am Anfang meines Artikels hatte ich von der Kontinentalwanderung geschrieben. Hier am Butt of Lewis findet sich der Beweis für jene These, dass Schottland einst zum amerikanischen
Kontinent gehörte, bevor es über den Ozean in Richtung England driftete. Dieses Gestein tritt ansonsten nur im kanadischen St. Lorence Gebiet zu Tage. Wie ein Puzzle würde die
Geometrie der beiden Küsten zusammenpassen. Die Wanderung der tektonischen Platten wird auch in Zukunftandauern. Die Geologen zweifeln kaum an der Loslösung Schottlands von England in den nächsten … 50 Millionen Jahren.
Meine abschliessende Botschaft deshalb an Sie: Besuchen Sie Schottland, bevor es zu spät ist!
Text: Jan Hübler