Weite und Wildnis am Ende der Welt

Berge, Gletscher und Meer. Fantastische Naturschauspiele überall. Eisblau, Meeresblau, Himmelblau und Grüntöne sind die Wegweiser zu einem Streifzug durch Patagonien und das Feuerland. Das ist Fernweh pur.

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Vieles scheint verkehrt im tiefen Süden. Die Sonne leuchtet aus dem Norden und je weiter südlich die Reise geht, desto kälter wird es. Winter ist im Juli, die wärmste Jahreszeit im Januar. Wetter, das vier Jahreszeiten im Stundentakt beschert. Wer gerade die Sonnenbrille aus der Tasche gefingert hat, dem peitscht im nächsten Moment Schneeregen ins Gesicht. Hier ist so vieles anders. Das ist Patagonien. Der südlichste Teil Südamerikas.

Die monumentale Region, 20-mal so gross wie die Schweiz, verteilt sich auf Argentinien und Chile. Im Norden ist Patagonien um den 42. Südlichen Breitengrad durch die Flüsse Río Colorado in Argentinien und Río Bío Bío in Chile begrenzt, im Süden durch die Magellanstrasse.

Riesiges Inlandeis

Das von Nord nach Süd verlaufende Gebirgsmassiv der Anden unterteilt Patagonien in zwei Grosslandschaften. Westpatagonien gehört hauptsächlich zu Chile, zwischen den Anden und der Pazifikküste. Ostpatagonien hingegen, das östlich von den Anden bis zum Südatlantik reicht, liegt grösstenteils auf argentinischem Boden. Oftmals wird auch das südlich der Magellanstrasse gelegene Feuerland zu Patagonien gerechnet.

Auch klimatisch verläuft eine krasse Grenze zwischen Ost und West. Die Pazifikluft, die sich mit dem fast immer wehenden Westwind an der Gebirgsbarriere der Anden ihrer Wasserfracht entledigt, macht Westpatagonien feucht, sehr feucht sogar. Kein Wunder gedeihen an den küstennahen Hängen der Westanden die gemässigten valdivianischen Regenwälder. Etwas höher gelegen fallen Unmengen Schnee, welcher gewaltige Gletscher nähert. Mit einer Eisfläche, welche die halbe Schweiz bedecken würde, ist das patagonische Inlandeis das grösste Gletschergebiet, das ausserhalb der Antarktis und Grönlands liegt.

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Schweizer Pionier im patagonischen Inlandeis

54 Tage, 526 Kilometer, Berge, Gletscher, Flüsse und viele Stürme. Dies sind die Eckdaten der Durchquerung des südlichen patagonischen Inlandeises. 2003 hat der Schweizer Extrembergsteiger und Abenteuer-Fotograf Thomas Ulrich diese mit seinem norwegischen Freund und Expeditionspartner Børge Ousland im Auftrag von National Geographic geschafft. Als ersten Abenteurern überhaupt ist es den beiden gelungen, diese Strecke ohne Unterstützung von aussen und ohne Depots zurückzulegen. Der Berner aus Interlaken gehört seit Jahren zu den weltbesten Abenteuer-Fotografen. 1999 gelang Thomas Ulrich in Patagonien auch die erste Winterbesteigung des berühmten Cerro Torre.

Wetter auf Patagonisch

Viel trockener ist es östlich der Anden. Im Regenschatten des Gebirges dehnen sich steppenartige und wüstenähnliche Ebenen aus. Gemeinsam für nahezu allen Teile Patagoniens ist ein fast ganzjährig wehender kühler Wind. Falls man nicht für Wintersport anreist, bietet sich als beste Reisezeit für Patagonien das südamerikanische Sommerhalbjahr von Oktober bis April an. Doch auch in den Sommermonaten steigt das Quecksilber selten über 20 Grad und in der Nacht wird es empfindlich kalt. Warme Kleidung gehört für Patagonien und Feuerland immer ins Gepäck.

Die Kälte ist das eine, das höchst unbeständige, unberechenbare Wetter das andere. Die Sonne scheint, aus dem blauen Himmel heraus stiebt plötzlich ein Schneeschauer, dann prasselt Regen gegen die Windschutzscheibe, dann scheint wieder die Sonne. Und dies alles innerhalb von 30 Minuten. Wetter auf Patagonisch. Und immer Wind. Steigt man aus dem Mietauto aus, spricht man sich besser vorher ab. Erst die eine Autotür öffnen, dann die andere. Werden beide gleichzeitig gegen den Orkan aufgestemmt, wirbelt dieser alles raus, was nicht festgebunden ist.

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Nach Feuerland

Am Küstenhighway, der Magellanstrasse entlang, die Patagonien von Feuerland trennt, herrscht also zunächst mal wieder unbarmherziger Sturm. Ein robuster und geländegängiger Mietwagen ist zweifellos ideal, wenn man die Weiten Patagoniens flexibel erkunden will. Und wer nach Patagonien will, will auch nach Feuerland. Bei der Überfahrt mit der Fähre zeigt sich die Magellanstrasse in einem trügerisch sanften Blau; winzige, weisse Schaumkronen auf den Wellen. Dass diese seit Jahrhunderten bei allen Seefahrern der Welt gefürchteten Gewässer auch ganz anders können, beweisen die rostigen Reste gestrandeter Schiffe, gleich neben dem Küstenhighway.

Auf der zwischen Argentinien und Chile aufgeteilten Hauptinsel von Feuerland, die etwa so gross ist wie die Schweiz, geht es auf der Ruta 3 zunächst entlang der Atlantikküste immer weiter südlich, danach ins Landesinnere und in Richtung Westen, nach Ushuaia.

Unwirklich und geheimnisvoll

Etwa 10 Kilometer westlich von Ushuaia breitet sich der Nationalpark Feuerland beidseits der chilenisch-argentinischen Grenze aus. Die Ruta 3 endet im Herz des Parks als Sackgasse. Diese ist dann auch gleich das Ende der sagenhaften Panamericana, der Strasse, die in Alaska beginnt und längs durch den gesamten amerikanischen Doppelkontinent bis genau hierherführt. Der Park ist durch Wanderwege erschlossen. Es gibt Sümpfe, die durch Überschwemmungen entstanden sind. Diese wiederum durch eingeführte Biber, die an diesen Stellen den Wald zerstört haben. Die Küste wird von Seevögeln und Pinguinen bewohnt, im Landesinneren findet man Guanakos.

Die ganz berühmten Ziele aber, der Nationalpark Torres del Paine oder der Perito Moreno-Gletscher, liegen weiter nördlich. Zurück auf dem Highway der Magellanstrasse entlang in Richtung Westen werden die Berge nun Kilometer für Kilometer mächtiger und höher. Die Bergseen immer leuchtender bis zu einem unwirklichen Neonblau. Und dann tauchen sie auf, geheimnisvoll von Wolkenfetzen umweht: die karstigen Zinnen der Torres del Paine, der Gipfelformation, die dem legendären Nationalpark in den südlichen Anden den Namen gab.

Ushuaia

Es weht eine Goldgräberstimmung durch Ushuaia. Die Touristen bringen Geld in die Stadt, zehn bis zwölf neue Hotels werden immer gleichzeitig gebaut. 10’000 Einwohner waren es 1980, weit über 60’000 müssten es jetzt sein. Als «Einheimischer» gilt hier schon, wer seit zehn Jahren da ist. Die Stadt ist, sagen sie, eine grosse «ensalada rusa», ein Mischmasch: Erst kamen die Engländer zur Missionierung, dann die Chilenen zum Schafescheren, darauf die Jugoslawen zur Holzverarbeitung, die Italiener mitsamt komplett verpackter Chemiefabrik und jetzt kommen sie vor allem aus Bolivien – zum Hotelbau.

Hauptschlagader dieser Mixtur aus Kolonialbauten, Betonblöcken, Blechhütten, Bretterverschlägen und Baustellen ist die San-Martín-Strasse. Hier bekommt man so ziemlich alles, was man braucht für ein Leben in Argentiniens südlichster Stadt: Essen, Kleidung, Glühbirnen, eine Internetverbindung, einen Stadtplan. Doch nicht Ushuaia ist das Ziel einer Tour nach Feuerland, sondern die grossartige Natur.

Und siehe da, nur ein paar Kilometer oberhalb der San Martín streckt der Marcial-Gletscher Ushuaia seine eisig blaue Zunge entgegen. «Der Blick von oben offenbart das Hingewürfelte dieser Stadt, dieses Vorläufige und Lieblose» schreibt Christian Thiele in seinem Buch «Gebrauchsanweisung für Argentinien». Doch darüber kann man buchstäblich hinwegsehen, hinausschauen in den Beagle-Kanal, der sich mit dunklem Wasser unter fedrigen Wolken Richtung Südost in den Dunst verabschiedet.

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Schroff und schön

Weltberühmtes Markenzeichen des Nationalparks Torres del Paine, der sich über 2000 Quadratkilometer in den südchilenischen Anden ausbreitet, ist der Cerro Torre. Als einer der schwierigsten Kletterberge liegt dessen 3128 Meter hoher Gipfel in unbeschreiblicher schroffer Schönheit in eine Gebirgslandschaft mit Gletschern und Seen eingebettet. Die bizarren Gipfel der Südkordilleren wirken umso imposanter, weil sie vom grossen patagonischen Inlandeis umgeben sind. Noch etwas höher als der Cerro Torre ist der ebenso berühmte, nur rund fünf Kilometer entfernte Fitz Roy, mit 3359 Metern.

Von Klimaerwärmung ist hier wenig zu spüren angesichts der gewaltigen Eismassen, die beispielsweise der Grey Gletscher in die Ebene schiebt. Dutzende Meter hohe Eiswände brechen immer wieder von seiner Gletscherzunge ab. Unzählige Gletscherseen sind übersät mit frischen Eismassen.

Ein Wahrzeichen

Noch spektakulärer ist der Los Glaciares Nationalpark auf der argentinischen Seite der Anden. Von Puerto Natales aus geht die Reise zunächst nach El Calafate, indem man bei Rió Turbio die Grenze zu Argentinien überquert und dann der Ruta 40 folgt. Diese Schotterpiste gewährt grandiose Ausblicke in die patagonische Wüste, bevor sie Calafate am Lago Argentino erreicht, mit 1600 Quadratkilometern einem der grössten Seen Argentiniens.

Neun gewaltige Gletscher fliessen aus dem patagonischen Inlandeis ins Unesco-Weltnaturerbe Los Glaciares. Besonders spektakulär sind der Upsala-Gletscher und der Perito-Moreno-Gletscher. Der Upsala Gletscher ist mit einer Bootstour über den Lago Argentino oder per Bus erreichbar. Ein nationales Wahrzeichen Argentiniens ist der Perito-Moreno Gletscher, der auch heute noch mit verblüffender Geschwindigkeit als 4 Kilometer breite und etwa 60 Meter hohe Gletscherzunge in den Lago Argentino vorstösst und mit Donnergetöse abbricht. Dabei trennt das Eis etwa alle fünf Jahre – in jüngerer Zeit etwas seltener – einen Seitenarm, den Brazo Rico, vom Argentiniensee ab. Geschieht dies, steigt der Wasserstand im Brazo Rico um 18 Meter an – bis sich die Wassermassen mit kataklysmischer Gewalt einen Durchbruch verschaffen.

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Bald Linienflüge in die Antarktis?

In eineinhalb Flugstunden in die Antarktis reisen, statt auf langen Schifffahrten bei oft sehr bewegtem Meer: Das soll ab 2018 von Ushuaia aus möglich sein. Argentinien plant, die Landebahn des Stützpunktes Marambio vor der Antarktis-Halbinsel für Linienflüge tauglich zu machen. Die Flugverbindung soll mit Turboprop-Maschinen der staatlichen Gesellschaft Lade betrieben werden, wie die argentinische Zeitung «La Nación» berichtete.

Auf dem Stützpunkt werden rund zehn Prozent der vorhandenen Unterkünfte für Touristen zur Verfügung stehen. Derzeit können bis zu 150 Menschen auf Marambio wohnen. Alle Umweltschutzvorgaben der Antarktisverträge würden bei dem Tourismusprojekt eingehalten, verspricht das Verteidigungsministerium.

Die Maschinen sollen ein oder zweimal wöchentlich von Ushuaia starten und Marambio nach knapp eineinhalb Stunden Flug erreichen. Vorgesehen sind Tagesausflüge sowie Aufenthalte von vier bis sieben Tagen. Es soll die erste regelmässige Linienflugverbindung zur Antarktis werden. Bisher wurde die 1969 errichtete Forschungsstation ausschliesslich von Militärflugzeugen angeflogen.

Reiseexperten raten von solchen Flügen und Kurzreisen in die Antarktis aus ökologischen Gründen allerdings ab. (mgt)

1. Reisetipp

Die Anreise nach Feuerland erfolgt am einfachsten per Flugzeug, Flughäfen gibt es in Río Grande und Ushuaia. Es gibt häufige Verbindungen nach Buenos Aires sowie in die meisten Städte Patagoniens.

Siehe auch: www.argentina-argentinien.com/patagonien

Anreise auf chilenischer Seite: Z.B. mit Lufthansa, LAN Chile, Air France etc. bis Santiago de Chile, von dort aus weiter nach Punta Arenas per Inlandflug mit LAN Chile.

Infos: www.visit-chile.com (Homepage der chilenischen Tourismusförderungsgesell­schaft); www.sernatur.cl (Seite des Fremdenverkehrsamtes); www.gochile.cl (informatives Reiseportal).

Schweizer brauchen lediglich einen Reisepass, der noch mindestens drei Monate gültig ist. Man erhält bei der Einreise eine Tarjeta de Turismo (Touristenkarte), die 90 Tage gültig ist und bei der Ausreise wieder vorgelegt werden muss.

Im Gegensatz zu weiten Gebieten Südamerikas ist Kriminalität in Patagonien und Feuerland nahezu unbekannt.

Buchtipp: «Gebrauchsanweisung für Argentinien» von Christian Thiele, Piper Verlag, 210 Seiten

Text und Bilder: Hans Peter Roth

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